Ansprache zum Jahresabschluss 2020

Veröffentlicht am 19.12.2020 in Aktuelles

Gaby Streicher, zweite OB-Stellvertreterin

 

Es ist ein schöner Brauch im Giengener Gemeinderat, dass zum Abschluss eines Sitzungsjahres das letzte Wort einer der ehrenamtlichen OB-Stellvertreter hat; ich stehe hier also überparteilich und nicht fraktionsgebunden.

 

Es gibt keine Rede in diesem Jahr – egal zu welchem Anlass – ohne Corona; niemand kommt daran vorbei … denn Corona bestimmt den großen Teil des Jahres unser privates, wirtschaftliches und politisches Handeln. Aber eines vorweg: wir kommen finanziell auch ohne blaues Auge davon, wie man an der voraussichtlichen Jahresrechnung sieht – ohne Nachtragshaushalt und ohne nennenswerte Einbrüche, die nicht über Hilfsmaßnahmen abgedeckt wären. Dennoch gab es große Herausforderungen 2020 für das Gremium:

 

- Sitzungstechnisch und damit atmosphärisch: Wechsel des Standortes … weit auseinander sitzend … lange Wege zum Mikrofon ... kein Getuschel oder Info oder Meinungsaustausch mit dem Nachbarn … kein Beobachten der Mimik bei den anderen Fraktionen … kein Beobachten des Abstimmungsverhaltens; leider auch nicht mehr Bürger, die als Zuhörer unsere Arbeit live verfolgen.

 

- Nachsitzungstechnisch: Keine Nachsitzungen in gelöster Atmosphäre – oder zum Wiederherstellen einer gelösten Atmosphäre.

 

- Feste und Feiern: Keine Weihnachtsfeier, kein Sommerfest, keine Geburtstagseinladungen, kein Fraktionsfest, kein Bier im Tanzkreis und und und... Und für uns als Bürger – viele Zumutungen .... und das ist keine abschließende Aufzählung.

 

- Finanziell als Einzelhändler, als Gastronom, als Kurzarbeiter, als Arbeitsloser, als Soloselbständiger in vielfältigen Sparten.

 

- Persönlich/privat durch Kontaktbeschränkungen, auch bei Taufen, Hochzeiten und Trauerfeiern, bei Gottesdiensten, mit Besuchsverboten in Heimen; oder Krankheit bis hin zum Verlust von Angehörigen durch das Virus; Belastungen durch Home Office mit gleichzeitiger Kinderbetreuung.

 

- Alltagsleben und Freizeit: auf der Strecke bleiben Sport, ob Fitnessstudio oder Mannschaftssport; Kultur, ob passiv in Konzerten, Museen und Ausstellungen oder aktiv als Musiker, Sänger, in Theatergruppen; die Geselligkeit mit Freunden, im Verein.

 

Ausdrücklich nicht als Zumutung für die Allermeisten: das Tragen von Masken, um andere zu schützen!

 

Jeder von uns hat mehr Verantwortung – für sich selbst klappt das ja meistens recht gut, aber wir tragen sie auch für andere, auch für die, welche man vielleicht gar nicht mag. Diese Verantwortung verbietet es eigentlich, sein eigenes Süppchen zu kochen – und das unter dem Deckmantel des Kampfes für unsere Demokratie. Die mit Wut und Hass vorgetragene zerstörerische Kritik am Staat – und das sind doch wir!!! - und an den Verantwortlichen hinterlässt uns fassungslos, auch der Missbrauch unseres Freiheitsrechts nach dem GG zugunsten einer individuellen Gültigkeit – oft von denen, welche ihr Grundrecht auf xy als das Maß aller Dinge halten und es vor viele andere setzen. Grundrechte werden und können laut Verfassung aus gutem Grund eingeschränkt werden; als Beispiel die Demonstrationsfreiheit in Art. 8 GG. Für diejenigen, die sich nicht mehr ganz genau an ihn erinnern:

"(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden."

Und das gilt sinngemäß für alle anderen Grundrechte. Das Demonstrations-Grundrecht des Art. 8 GG ist wichtig und gewichtig. Seine hymnische Erhöhung ist aber schlicht übertrieben. Denn selbstverständlich hat der Staat nicht die Aufgabe, "um jeden Preis" das Recht seiner Bürger auf Demonstrationen zu schützen, sondern auch die Pflicht, seine Bürger vor Rechtsbrüchen, Verletzungen oder Angriffen zu schützen. Und das ist eine Feststellung, die (mehrere) Abwägungen erforderlich macht. Die eigene Betroffenheit wird aber gern als Garantie für das eigene Rechthaben missverstanden. Weil es jeden von uns betrifft, wähle ich Beispiele aus dem Verkehrsrecht: eingeschränkt ist

 

- das Recht auf unbegrenzte Geschwindigkeit

- sich auch nach Drogengenuss – insbesondere Alkohol, ans Steuer zu setzen

- sich ohne Gurt ans Steuer zu setzen.

 

Und eingeschränkt wird das in erster Linie wegen der Rechte der anderen auf körperliche Unversehrtheit. Analog die jetzigen Vorschriften: Das Recht auf Party feiern kollidiert mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit der anderen; das Recht absoluter Freizügigkeit der einen Gruppe erfordert - euphemistisch gesagt - „Alte“ und „Vulnerable“ zu schützen, man könnte auch „Einsperren“ dazu sagen. Ein nach persönlichem Bedarf fantasiertes "Recht“ ist oft nicht mehr als eine vornehme Umschreibung von Egoismus und Narzissmus. Das bedeutet, dass man die Einhaltung der Spielregeln nicht davon abhängig macht, ob man sich selbst als "gut" ansieht (was man meistens tut) und den jeweils anderen als "schlecht" (und daher rechtlos). Die Angriffe auf Kommunalpolitiker in Taten und Worten, in Form von Drohbriefen und Sachbeschädigungen, sind verstörend. Auch in Giengen ist der Ton einzelner Zeitgenossen in den Social Media rauer geworden, teils auch unverschämt. Das Recht auf Kritik bleibt davon selbstverständlich unberührt. Niemand ist unfehlbar; wir nicht und auch die Politiker in Regierungsverantwortung nicht. Wir leben in Pandemiezeiten in einer dynamischen Situation. Da ist es fast zwangsläufig, dass Verordnungen den neuen Erkenntnissen hinterherlaufen. Wir fahren auf Sicht – auch in Giengen; aber genau dies ist bei schlechter Sicht doch sinnvoll – weder abbremsen, weil dann erreicht man seine Ziele nicht, noch in den Nebel hinein zu beschleunigen. Jeder darf langfristige Konzepte einfordern – ohne in Gefahr zu geraten, ein solches selbst zu entwickeln und die Praktikabilität nachweisen zu müssen... gleichzeitig ist uns allen bewusst, dass der Spruch „erfahrene Propheten warten die Ereignisse ab“ in dieser Situation nicht weiterhilft. Aber nehmen Sie uns ab, dass wir uns nach bestem Wissen und Gewissen für das Wohl der Stadt und ihrer Bürger einsetzen.

Und vielleicht hilft uns auch ein Satz, den die Schauspielerin Anna Loos heute im Morgenmagazin sagte: Sie spüre eine „aufgefrischte Dankbarkeit“ für ihr Leben, in einer Situation, die für ganz viele eine wesentlich schlimmere ist.

Denn - was war positiv?

 

- Die Giengener sind kreativ: ob Außer-Haus-Verkauf, Steiff-Lichterzauber statt Adventsmarkt, Vesperkirche mit Abholpäckchen, neue Begrüßungsformen...

- die Giengener sind hilfsbereit: Einkaufshilfen, Fahrten übernehmen

- die Giengener sind spendenbereit, s. Ergebnis Sternenkässle (so lange war die Liste der Spender und die Höhe der Summe noch nie!).

 

Das spricht für eine funktionierende Giengener Bürgergesellschaft.

 

Abschließend bleibt mir der Dank an Sie alle: an Sie, Herr Oberbürgermeister Dieter Henle, an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung ... für ihre bürgerfreundliche, kompetente und zuverlässige Arbeit und für all den Service, der manchmal als selbstverständlich betrachtet wird....

Dank an die Vertreter der Presse, stellvertretend heute an Herrn Hosinner, für die objektive und meist ausführliche Darstellung der kommunalpolitischen Arbeit,

und Dank an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen in allen Fraktionen.

 

- Ich wünsche uns, dass wir 2021 den Blick für das Wesentliche finden und uns für wirklich wichtige Sachentscheidungen ausreichend Zeit zur Diskussion nehmen.

- Ich wünsche mir, dass jeder seine Meinung in angemessenem Umfang einbringen kann.

- Ich wünsche uns, dass wir den gemeinsamen Auftrag beim Ringen um kleine Details nicht aus den Augen verlieren.

- Ich wünsche uns, dass Sitzungen mit mehr als vier Stunden Dauer dennoch die große Ausnahme bleiben.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, geschätzte Mitarbeiter der Verwaltung, es wird uns sicher auch 2021 nicht an Aufgaben und Herausforderungen mangeln. Zu guter Letzt, die Rede heute hat zwei Funktionen: Rückblick auf 2020 mit dem Dank an alle, die sich engagiert haben - und Ersatz für die Weihnachtsfeier, wo Stadtrat Edi Geisser und ab und zu auch mal eine „Putzfrau aus dem Rathaus“ etwas satirisch aufs Korn genommen haben. Die „Putzfrau“ wurde heuer ausgebremst, deswegen ein paar Worte von mir.... nur angedeutet... aber da hätte man ordentlich was daraus machen können... z.B. über die großen lokalen Aufreger: das neue Pflaster vor dem Rathaus, der Bär und Kreisel, das neue Logo schlug buchstäblich Wellen mit Wellen (wahlweise als Symbol für Brenz, Bergbad, Landeswasserversorgung oder Brenztal-Nebel verstanden) und halbiertem Einhorn ebenso die Corona-Regelung im Bergbad und - ganz frisch, der Brunnen -nicht vor dem Tore- mit dem Lindenbaum im Anlägle.

 

Hilfreich beim Blick in die Zukunft wäre bei alldem eine Glaskugel ... als symbolisches Präsent für OB und Kämmerer überreiche ich hiermit eine kleine Glasmurmel … oder Klicker bzw. Klucker, wie der Schwabe sagt, für den richtigen Blick in unsere Zukunft. Ich wünsche Ihnen und allen unseren Bürgerinnen und Bürgern gesegnete Weihnachten und ein gutes und in jeder Hinsicht gesundes Jahr 2021.