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„Null Unrechtsbewusstsein“

Bericht des SPD-Europaabgeordneten Peter Simon aus dem Sonderermittlungsausschuss des Europa-Parlaments

MANNHEIM/BRÜSSEL. Als die Crème der internationalen Konzerne von Google und Facebook über Coca Cola und Anheuser-Busch (Bier) bis hin zu Ikea und McDonald's in einem Ausschuss des Europäischen Parlaments wegen ihrer Steuersparmodelle vorsprechen musste, traute Peter Simon seinen Ohren nicht. Mit welchen Argumenten hantiert wurde, um Steuern zu vermeiden, war nach Angaben des Mannheimer Europaabgeordneten mitunter hanebüchen. Simon ist Koordinator der SPD-Fraktion des Sonderermittlungsausschusses des Parlaments gegen staatlich organisierte Steuervermeidung.

Google und Facebook: Die beiden Internetkonzerne nutzen in Europa das gleiche Modell zum Steuersparen. Sie schleusen Gewinne aus der EU heraus, Google auf die Bermudas, Facebook auf die Cayman Islands. Wie die Vertreter der Konzerne bei der Anhörung sagten, sei das kein ausgefuchstes Steuervermeidungsmodell, sondern ein "konservatives Modell der Steuerverschiebung". "Unrechtsbewusstsein gleich Null", so das Urteil von Simon. Facebook habe zwar große Einheiten in Großbritannien, das steuerliche Zentrum ist aber Irland (mit niedrigeren Sätzen) beziehungsweise die Bermudas.

Coca Cola: Der Getränkekonzern zahlt in vielen Ländern keine oder nur geringe Steuern. Auf die Frage der Abgeordneten, ob sie denn nicht auch für die Nutzung der Infrastruktur in den Ländern einen Obolus entrichten sollten, kam vom Konzernvertreter der Hinweis auf zahlreiche soziale Aktionen. So werde etwa in der Dritten Welt die Rolle der Frau gefördert. Sponsoring als Ersatz für Steuerzahlungen - für Parlamentarier Simon "eine Anmaßung und überheblich ohne Ende".

McDonald's: Der Burger-Brater hielt es bei der Anhörung für das Natürlichste der Welt, dass keine Steuern in verschiedenen EU-Staaten gezahlt werden, sondern ausschließlich in Luxemburg. Schließlich zahlten schon die zahlreichen Franchisenehmer Steuern. Angeblich sitzt in Luxemburg die Einheit, in der das gesamte Know-how gebündelt ist. Alle Franchise-nehmer müssen Gebühren nach Luxemburg abführen. Knapp 900 Millionen Euro werden jährlich verschoben, um in Luxemburg rund ein Prozent Steuern darauf zu zahlen. Ohne eine Luxemburger Sonderregelung wären dort 24 Prozent Steuern fällig gewesen. Nach Recherchen von Simon und anderen Parlamentariern sitzen in den "Know-how-Zentralen" in Luxemburg und in der Schweiz nur 13 Beschäftigte.

Anheuser-Busch: Der Bierkonzern (bekannteste Marke ist Budweiser) gab im vergangenen Jahr in seiner Steuererklärung in Belgien 1,1 Milliarden Euro als zu versteuerndes Einkommen an. Der Steuersatz betrug nach der Anwendung diverser Vorschriften - eine heißt übersetzt sogar "Vermeidung exzessiver Besteuerung" - ein ganzes Prozent Steuern. Der Mannheimer Simon führt zum Vergleich die Eichbaum-Brauerei an, die in Deutschland und der Quadratestadt Steuern zahle. Sonderregeln für Konzerne sorgten für eine Wettbewerbsverzerrung zulasten der kleinen und mittelgroßen Unternehmen.

Ikea: Der Möbelriese aus Schweden schickte einen recht unergiebig antwortenden Vertreter vor den Parlamentsausschuss. Seine Antworten bestanden sehr oft darin, dass andere Gesellschaften in der Ikea-Unternehmensgruppe zuständig seien. Mitunter wies er auch auf die Homepage von verschiedenen Ländergesellschaften hin. "Wenn es eine Unternehmensgruppe darauf angelegt hat, dass wir uns mit ihr einen Tag lang alleine beschäftigen, dann Ikea", schäumt Simon.

Amazon: Viel versprochen hat der Online-Händler Amazon. Man wolle die Praxis der Steuervermeidung ändern und auch in den Ländern in Europa Steuern bezahlen, wo Geschäfte gemacht werden. Schließlich profitiere man ja auch von der Infrastruktur (als Versandhändler vor allem von Straßen). Bisher wurden auch hier Gewinne nach Luxemburg verschoben und dort günstig versteuert. Auf die Frage, wann und wie die Umkehr vonstattengehen soll, bekamen die Parlamentarier von der Amazon-Vertreterin keine Antwort.

Dazu im Begleitschreiben von Peter Simon folgende Ausführungen:

Zu Eurer Information findet Ihr anbei einen Zeitungsbericht auf Grundlage eines Interviews mit mir zur Befragung multinationaler Unternehmen im EP-Sonderermittlungsausschuss zu staatlich organisiertem Steuerdumping am Montag. Unsere Kontaktsperre gegen dreiste Multis war ein großer Erfolg: 11 der 13 Unternehmen, die sich bislang geweigert hatten, sind am Montag doch noch vor dem Sonderermittlungsausschuss erschienen und haben uns zu ihren Steuerpraktiken (ausweichend) Rede und (wenig!) Antwort gestanden.


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