SPD-Fraktionsvorsitzende Gaby Streicher zum Jahresende 2023

Veröffentlicht am 17.12.2023 in Aktuelles

Bild: Regine Hollarek

Bild: Regine Hollarek

 

Es ist Giengener Tradition, dass zum Abschluss eines langen Sitzungsjahres einer der ehrenamtlichen OB-Stellvertreter das letzte Wort in Form einer „Weihnachtsrede“ hat.

Ich will Sie nicht langweilen mit statistischen Zahlen, wieviel Tagesordnungspunkte, wie viele Brezeln oder Mineralwasser, nur so viel, auch heuer hatten wir wieder Sitzungen mit mehr als fünf Stunden Dauer, mit 17 Tagesordnungspunkten und Sitzungsvorlagen mit mehr als 250 Seiten – zum Glück nicht immer.

Ich will mich heute einem grundsätzlichen Thema widmen, das uns in diesem Jahr und die nächsten Jahre beschäftigen wird – dem Klima.

  • dem Klima im engen Sinn

  • dem Klima im übertragenen Sinn, nämlich dem politischen Klima

  • und dem Klima hier im Gremium und in der Verwaltung

 

Wir hatten es uns hier in Deutschland gemütlich eingerichtet in den letzten Jahrzehnten, trotz mancher Krisen, trotz mancher Warnungen, es herrschte Frieden, Wachstum, Wohlstand, Freiheit, Zuversicht (auch wenn es außerhalb Europas nie so friedlich und gemütlich war!).

Aber jetzt, angesichts der multiplen Krisen, angesichts von Terror und Krieg, angesichts der realen Bilder von Not, Hunger, Bomben und Tod – man mag schon fast keine Nachrichten mehr schauen- schleichen sich in unseren sicheren, saturierten Alltag andere Fragen: Was ist aus unserem zivilisatorischen Fortschritt geworden? Wir bemerken an uns selbst, dass sich unser moralisches Koordinatensystem verschiebt, dass sich unser Wertekanon verändert, dass gar ein Vakuum an Werten entsteht. In einer Welt voll Terror und Gewalt, welchen Platz hat da Pazifismus, hat Heroismus, wo endet Opfermut und wo beginnt sinnloses Sterben?

Und wir erkennen, durchaus beklemmend, dass es Demokratie, Freiheit, Frieden und Wohlstand nicht zum Nulltarif gibt – und es ihn auch nicht auf Kosten von anderen geben darf.

Wir hadern mit dem, was getan werden muss! Und wir wehren uns gegen Zumutungen!

Und uns ist im Diskurs der Kompass verlorengegangen. Einerseits fordern wir klare Sprache, Führungsstärke und Transparenz ein, bezeichnen vorsichtiges, abwartendes Äußern als unverbindliches „Scholzen“, andererseits legen wir jedes spontane Wort auf die Goldwaage mit anschließendem Shitstorm. Manche beißen sich an einem Wort fest, unter Missachtung des Kontextes. Bewusstes Missverstehen bzw. Skandalisieren, aus dem Zusammenhang reißen – das ist das erprobte Repertoire von Populisten, Rattenfängern und manchen `Wutbürgern“.

Insbesondere in den sozialen Netzwerken herrscht eine „Empörungskultur“ mit überschäumenden Aufgeregtheiten. Viele warten offenbar nur darauf, dass von Amtsträgern – egal auf welcher Ebene - „Fehler“ gemacht werden, um sich dann sowohl maß- als auch niveaulos zu äußern – beleidigend, verhöhnend, unter der Gürtellinie. Als Beispiel mag die Häme über die Figur von Ricarda Lang genügen.

Und wenn von „rot-grünen Ratten“ und von Ungeziefer die Rede ist – dann sind wir mittendrin im Nazi-Sprech und der entsprechenden Ideologie.

Und da ist es an der Zeit, an unser Grundgesetz zu erinnern, an den Satz in Artikel eins, der aus gutem Grund an erster Stelle steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ …des Menschen“, ohne Ausgrenzung!

Wir haben die bösartigen Urheber, die oftmals naiven Weiterverbreiter und leider auch eine „Öl-ins-Feuer-Gießer-Presse“. Die gezielt geschürte Hysterie der „Wärmewende-Gegner“ mit ihrem “Heizungshammer“ ist hier, bei aller Kritik an der suboptimalen Kommunikationsstrategie, ein markantes Beispiel.

Wir hadern mit dem, was getan werden muss! Und wir wehren uns gegen Zumutungen!

Damit bin ich beim Klima und einem grundlegenden Irrtum: “Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns“, so Dr. Eckart von Hirschhausen. Für den Planeten geht beides – eine meterdicke Eisschicht über Giengen oder wieder das Urmeer – aber für uns Menschen geht das nicht.

Leider ist der Anteil derjenigen, die den Klimawandel nicht leugnen und die über den eigenen räumlichen und zeitlichen Horizont hinausschauen können, noch nicht groß genug. Manche pflegen auch einen schiefen Freiheitsbegriff und verwechseln das mit egoistischer Raserei oder Fahrspaß nach dem Motto „Ich geb Gas, ich will Spaß“.

Und so haben wir es mit einer fatalen Mischung zu tun aus

  • „Wir in Deutschland können die Welt nicht retten, wir tragen nur zu 2 Prozent zum CO2-Ausstoß bei“. Das ist nummerisch korrekt, aber das ist das doppelte, was uns nach unserer Bevölkerungszahl zustünde. Deutschland gehört zu den Top Ten der Emittenten; d.h. wir können mehr zur Reduktion beitragen als die meisten anderen Staaten.

  • dem St. Floriansprinzip – ja zu Windkraft, Solarparks, verdichteter Bebauung – aber nicht vor der eigenen Haustüre

  • dem individuellen Verhalten (Billig-Schnitzel, Fast Fashion, tonnenschwere SUV´s)

und dem daraus resultierendem „heiligen Krieg“ zwischen den „Individualisten“ (oder Egoisten) und den “Verbotsideologen“, die aus verantwortungsvoller Überzeugung überregulieren.

Wir hadern mit dem, was getan werden muss! Und wir wehren uns gegen Zumutungen!

Aber wir erkennen die Dimension und die Notwendigkeit des Handelns. Frei nach Robert Habeck: „Es gibt Kipppunkte, Schwellen, Niederlagen sowie verpasste Chancen, aber nie `den einen Moment, wo es zu spät ist, danach weiter zu handeln.`“

 

Und damit bin ich bei uns, dem Gremium, bei unserer Rolle im System, das sich „repräsentative Demokratie“ nennt.

Ich bin mir bewusst, dass meine Rede bisher nicht gerade als Werbeblock für die Übernahme eines kommunalpolitischen Amtes geeignet war – aber genau dies will ich jetzt nachholen. Ich zitiere Markus Söder (was nicht so oft vorkommt): „Wir haben eine zunehmend destruktive und negative Demokratie, jeder sagt nur noch, was er schlecht findet.“ Ich will ihn dahingehend korrigieren, dass nicht „jeder“ das tut, dass dieser Teil zwar sehr laut, aber klein ist, zumindest kleiner als die Mehrheit der Bürger.

An diese Mehrheit richte ich meinen Appell: „Verlassen Sie die Zuschauerrolle und bringen Sie sich ein!“ Tun Sie das als Kandidat für die Kommunalwahlen, tun Sie das weiterhin in Workshops und Bürgerforen. Diese „Schwarmintelligenz“, hilft uns in den Fraktionen, unsere repräsentative Funktion mit dem Blick auf das Allgemeinwohl auszufüllen.

Wir nicken weder alles einfach ab (oft ein Vorwurf an kommunale Gremien) noch streiten wir dauernd (oft ein Vorwurf an Regierungskoalitionen). Konflikt ist ein Wesensmerkmal einer funktionierenden menschlichen Gesellschaft. Beteiligen Sie sich konstruktiv an der Lösung.

Und damit bin ich beim Klima hier in diesem Raum und der Konfliktlösung. Methoden der Konfliktlösung wie Anwendung von Gewalt, Ächtung, Isolation verbieten sich selbstredend. Vertagung und Ausklammerung sind nur kurzfristig zielführend. Die häufigste Form ist der Kompromiss. Kompromisse werden oft in informellen Gesprächen vor- oder nachbereitet und können so zum Konsens führen.

Ich möchte die Fraktionsvorsitzenden dazu ermuntern, dies auch in Form der alljährlichen Geburtstagseinladung zu pflegen, möglichst im ersten Halbjahr 2024, weil das Gremium ab Sommer eine andere Zusammensetzung haben wird.

Und ich wünsche mir, dass das Instrument der Einbindung in informellen Nachsitzungen auch mit Beteiligung von Amtsleitern wieder praktiziert wird – ich habe das in guter Erinnerung. Nachher können wir unsere Weihnachtsfeier ja als „Kick-Off-Veranstaltung“ entsprechend nutzen.

Bei meiner letzten Rede in dieser Funktion habe ich OB und Kämmerer jeweils eine kleine Glaskugel überreicht – für den richtigen Blick in die Zukunft.

Nicht immer erweist sich ein Blick in die Glaskugel im Nachhinein als richtig. Hier ein paar Beispiele für den Spruch „Erfahrene Propheten warten die Ereignisse ab“:

  • November 2014: ein ehemaliger Kämmerer prophezeit, dass wir ab 2018 auf der Stadtrandstraße fahren

  • Januar 2018: Niedrigster Strompreis seit 2011

  • Ebenfalls Januar 2018: „Eis gebrochen“: das Land untersucht Varianten bei der Stadtrandstraße

  • Juli 2019: Zweifel des NABU an der Notwendigkeit eines GIPA – kein Bedarf

  • Dezember 2019: An der Nordseite des Rathauses wird im Herbst 2020 eine Fluchttreppe angebaut

  • Und aktuell: Giengen ist im Jahre 2035 klimaneutral … da werden wir uns anstrengen müssen

 

Abschließend bleibt mir der Dank an Sie alle:

an Sie, Herr Oberbürgermeister Dieter Henle, an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung … für ihre bürgerfreundliche, kompetente und zuverlässige Arbeit und für all den Service, der manchmal als selbstverständlich betrachtet wird….

Dank an die Vertreter der Presse, stellvertretend heute an n.n. , für die objektive und meist ausführliche Darstellung der kommunalpolitischen Arbeit,

und Dank an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen in allen Fraktionen.

Vor zwei Jahren hat Kollege Unseld mit einem Märchen geendet – ich werde das nicht tun, ich ende mit einem Gedicht. Und weil ich dies nicht so gut kann wie etwa Sarah Bossetti, greife ich auf Bewährtes zurück, auf Wilhelm Busch:

Wirklich, er war unentbehrlich!
Überall, wo was geschah
Zu dem Wohle der Gemeinde,
Er war tätig, er war da.

Schützenfest, Kasinobälle,
Pferderennen, Preisgericht,
Liedertafel, Spritzenprobe,
Ohne ihn, da ging es nicht.

Ohne ihn war nichts zu machen,
Keine Stunde hatt' er frei.
Gestern, als sie ihn begruben,
War er richtig auch dabei.

Ich wünsche uns allen ein langes Leben bei bester Gesundheit und eine friedvolle Weihnachtszeit.